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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 01.12.2008
Aktenzeichen: 32 Ss 193/08
Rechtsgebiete: FeV


Vorschriften:

FeV § 28 Abs. 4 Ziff. 4
1. § 28 Abs. 4 Ziff 4 FeV ist mit EU-Recht vereinbar.

2. Eine von einer Behörde der Tschechischen Republik für einen Deutschen mit Wohnsitz im Inland während des Laufs einer von einem deutschen Gericht verhängten Sperrfrist erteilte EU-Fahrerlaubnis berechtigt auch nach Ablauf der Sperrfrist nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland (im Anschluss an EuGH, Beschluss vom 03.07.2008, C-225/07).

3. Zur Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums bei unklarer Rechtslage.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

32 Ss 193/08

In der Strafsache

geboren am 6. September 1970 in S., wohnhaft A.weg, O.,

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richterin am Oberlandesgericht ####### am 01.12.2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts V. vom 17. Juli 2008 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte war vom Amtsgericht R. am 4. März 2008 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen á 20 € verurteilt worden. Das Amtsgericht hatte ferner dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von einem Jahr und sechs Monaten verhängt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil verworfen. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist der Angeklagte in den neunziger Jahren dreimal wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt worden, zuletzt am 26. März 1996 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und einer Führerscheinsperre bis zum 25. März 1997. Am 4. Juli 1997 ist dem Verurteilten auf der Grundlage eines negativen medizinisch-psychologischen Gutachtens die Fahrerlaubnis der Klassen 1 B und 3 vom Landkreis R. versagt worden. Am 5. Oktober 2001 hat der Landkreis V. dem Angeklagten auf seinen Antrag die Fahrerlaubnis der Klassen A und B versagt, nachdem er ein medizinisch-psychologisches Gutachten nicht beigebracht hatte. Mit Bescheid vom 15. Mai 2002 hat die Führerscheinbehörde des Landkreises V. dem Angeklagten erneut die Fahrerlaubnis versagt, weil er zur Trunksucht neigt. Am 15. Fe-bruar 2005 verurteilte das Amtsgericht A. den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen á 20 €. Es wurden ferner ein Fahrverbot von drei Monaten und eine - isolierte - Fahrerlaubnissperre bis zum 21. Februar 2007 verhängt.

Nach Ablauf der Sperre, nämlich am 5. April 2007, fuhr der Angeklagte mit einem Pkw gegen 23:47 Uhr in der Gemarkung R. auf der Bundesstraße 215, wobei eine Überschreitung der dort zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 40 km/h gemessen wurde. Er führte eine tschechische EU-Fahrerlaubnis mit sich, die ihm am 15. März 2006 für die Klasse B ausgestellt worden war und in der als Wohnort des Angeklagten "O. in der Bundesrepublik" angegeben worden ist. Der Angeklagte wohnte zum Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis, zur Tatzeit und auch zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung in O.

Die Kammer kommt auf der Grundlage dieser Feststellungen zum Schuldspruch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, da die Berechtigung zum Führen einer EU-Fahrerlaubnis im Inland gemäß § 28 Abs. 1 FeV nach § 28 Abs. 4 FeV für den Angeklagten nicht gelte. Die Voraussetzungen von § 28 Abs. 4 Ziff. 2, 3 und 4 träfen alle auf den Angeklagten zu, was diesem auch bekannt gewesen sei. Dies sei im Anschluss an die EuGH-Entscheidung vom 26. Juni 2008 (Az. C 329/06 und C 343/06) auch mit EU-Recht vereinbar. Die Kammer geht davon aus, dass der Angeklagte sich bei der Benutzung des tschechischen Führerscheines in einem vermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 StGB befunden habe, da dem Angeklagten aus der umfangreichen Medienberichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen bekannt gewesen sei, dass in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zur Tatzeit umstritten gewesen sei, ob derartige EU-Führerscheine zum Fahren im Inland berechtigen, weshalb der Angeklagte sich darüber bei der Verwaltungsbehörde hätte erkundigen müssen.

Gegen dieses Urteil wendet der Angeklagte sich mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechtes rügt und einen Freispruch erstrebt. Der Anwendung von § 28 Abs. 4 FeV stehe EU-Recht entgegen, jedenfalls aber habe sich der Angeklagte in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.

II.

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

Die landgerichtlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die nach § 28 Abs. 1 FeV grundsätzlich bestehende Berechtigung, als Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, wird durch § 28 Abs. 4 FeV eingeschränkt. Für den Angeklagten gilt, dass dieser jedenfalls aufgrund der in § 28 Abs. 4 Ziff. 4 FeV normierten Einschränkung nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt war und ist.

Nach § 28 Abs. 4 Ziff. 4 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. § 28 Abs. 4 Ziff. 4 FeV betrifft dabei die Fälle der sogenannten "isolierten Sperre" gemäß § 69 a Abs. 1 Satz 3 StGB (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 28 FeV Rdnr. 6).

Gegen den Angeklagten hat das Amtsgericht A. mit Urteil vom 14. Februar 2005 eine solche isolierte Sperre bis zum 21. Februar 2007 verhängt. Während dieser Sperrfrist wurde dem Angeklagten die tschechische EU-Fahrerlaubnis ausgestellt. Die tschechische EU-Fahrerlaubnis ist dem Angeklagten mithin ausgestellt worden, obwohl ihm aufgrund der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung des Amtsgerichts A. keine Fahrerlaubnis erteilt werden durfte, § 28 Abs. 4 Ziff. 4 FeV.

Unerheblich ist dabei, dass der Tatvorwurf sich auf einen Tatzeitpunkt bezieht, zu dem die Sperrfrist bereits abgelaufen war. Es entsprach zwar der jedenfalls im Jahr 2007 herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung, dass eine Strafbewehrung nach § 21 StVG für zeitlich erst nach Ablauf einer inländischen Sperrfrist liegende Fahrten ausscheide, auch wenn die EU-Fahrerlaubnis während einer Sperrfrist ausgestellt worden ist (vgl. dazu OLG Nürnberg, Urteil vom 16.01.2007, NStZ-RR 2007, 269; OLG München, Urteil vom 29.01.2007, NZV 2007, 214; OLG Jena, Beschluss vom 06.03.2007, DAR 2007, 404; OLG Bamberg, Urteil vom 24.07.2007, NStZ-RR 2008, 77). Diese Auffassung war jedoch umstritten. Bereits am 15. Januar 2007 hatte das OLG Stuttgart entschieden, dass eine von einer Behörde der Tschechischen Republik für einen Deutschen mit ordentlichem Wohnsitz im Inland erteilte EU-Fahrerlaubnis unwirksam sei und nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtige, wenn der Führerschein während des Laufs einer von einem deutschen Gericht verhängten Sperrfrist ausgestellt wurde (OLG Stuttgart, Urteil vom 15.01.2007, NStZ-RR 2007, 271).

Diese Kontroverse innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung dürfte sich durch den Beschluss des EuGH vom 3. Juli 2008, Az. C-225/07, erledigt haben. Diese Entscheidung betraf eine Vorlage durch das Amtsgericht L. zu einem Sachverhalt, in dem der Angeklagte mit einer tschechischen Fahrerlaubnis, die ihm während des Laufs einer isolierten Sperrfrist ausgestellt worden war, nach Ablauf der Sperrfrist im Inland gefahren war. Der EuGH hat entschieden, dass bei einer solchen Sachlage auf der Grundlage der Richtlinie 91/439, insbesondere ihres Artikels 8 Abs. 4, eine uneingeschränkte und endgültige Befugnis der zuständige Gerichte besteht, die Anerkennung der Gültigkeit einer Fahrerlaubnis abzulehnen, die in einem anderen Mitgliedsstaat von einer Person erworben wurde, der im ersten Mitgliedsstaat die Fahrerlaubnis entzogen und für die dort eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet wurde, auch wenn diese Person erst nach Ablauf der Sperrfrist von dem Führerschein Gebrauch gemacht haben sollte. Der Umstand, dass sich die Frage der Gültigkeit der Fahrerlaubnis erst nach dem Ablauf der Sperrfrist stellt, hat auf die Frage der Anerkennung dieses Führerscheins - so der EuGH - keinen Einfluss. Der EuGH ist daher auf die weiteren Vorlagefragen des Amtsgerichts L., die auf der Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung, u. a. des OLG München, Urteil vom 29.01.2007, a. a. O., darauf abzielten, ob einer solchen Fahrerlaubnis, die während der Sperrzeit ausgestellt, aber von der erst nach der Sperrzeit Gebrauch gemacht worden sei, unter Missbrauchsgesichtspunkten die Anerkennung zu versagen sei, gar nicht mehr eingegangen.

Der EuGH hat damit für diese Fallkonstellation, also dass von einer EU-Fahrer-laubnis, die während des Laufs einer von einem deutschen Gericht ausgesprochenen Sperrfrist ausgestellt wurde, in Deutschland nach Ablauf der Sperrfrist Gebrauch gemacht wird, eindeutig entschieden, dass es mit EU-Recht vereinbar ist, wenn einer solchen Fahrerlaubnis nach § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV die Anerkennung versagt wird. Dabei folgt die fehlende Fahrerlaubnis bereits aus § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV selbst und bedarf keines zusätzlichen Verwaltungsaktes (vgl. dazu für die vergleichbaren Fälle § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV Lampe, Anmerkung zu OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2008 - 1 Ss 29/08, juris PR-StrafR 20/2008, Anm. 3). Dies mag in den Fällen des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV, in denen die Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis wegen der fehlenden Wohnsitzvoraussetzung versagt wird - was auf die EuGH-Entscheidung vom 26. Juni 2008, Fall W., Az. C-329/06, zurückgeht - anders zu beurteilen sein. Dies wird vom Senat jedoch ausdrücklich offen gelassen, da es hier nicht darauf ankommt.

Demnach war der Angeklagte zur Tatzeit nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis, die ihn zum Führen eines PKW berechtigt hätte. Die Feststellungen der Kammer zum Vorsatz des Angeklagten im Hinblick auf diese Umstände sind frei von Rechtsfehlern.

Der Angeklagte befand sich auch nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.

Zwar war zum Tatzeitpunkt, im April 2007, die Frage der Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund einer während einer Sperrfrist ausgestellten EU-Fahrerlaubnis in der obergerichtlichen Rechtsprechung höchst umstritten (siehe oben) und dies war dem Angeklagten aufgrund der Berichterstattung in den Medien auch bekannt. Der Angeklagte durfte sich deshalb jedoch nicht darauf verlassen, dass seine Rechtsauffassung zutreffend war, zum Führen eines Kraftfahrzeugs berechtigt zu sein.

In einer solchen Situation, also wenn zum Tatzeitpunkt eine widersprüchliche Rechtsprechung gleichrangiger Gerichte zur Unrechtsfrage vorliegt, ist es nach herrschender Auffassung eine Frage der Zumutbarkeit, ob der Angeklagte die Handlung, deren Verbotensein unklar ist, unterlassen muss, bis diese Frage entschieden ist (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.11.2007, NJW 2008, 243; LK-Vogel, StGB, 12. Aufl., § 17, Rdnr. 68; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 27. Aufl., § 17, Rdnr. 21). Bei der Prüfung der Frage, ob es zumutbar ist, die möglicherweise verbotene Handlung so lange zu unterlassen, bis die Frage ihrer Verbotenheit endgültig geklärt ist, sind das Interesse des Einzelnen an der Vornahme der fraglichen Handlung einerseits und das Interesse der Allgemeinheit am Unterlassen dieser Handlung andererseits abzuwägen und dabei die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. dazu OLG Stuttgart, NJW 2008, 243; LK-Vogel, § 17, Rdnr. 69). Diese Abwägung führt hier zu dem Ergebnis, dass es dem Angeklagten zuzumuten gewesen wäre, auf das Führen von Kraftfahrzeugen zu verzichten. Zwar darf grundsätzlich das Risiko einer extrem unklaren Rechtslage nicht dem Normadressaten aufgebürdet werden (OLG Stuttgart, NJW 2008, 243; BGH, NJW 2007, 3078). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte, anders als in dem der Entscheidung des OLG Stuttgart zugrundeliegenden Fall, keinerlei positive Auskünfte hinsichtlich seiner Fahrberechtigung erhalten hatte, insbesondere nicht - wie im Fall des OLG Stuttgart - von kontrollierenden Polizeibeamten. Der Verzicht auf das Führen von Kraftfahrzeugen war für den Angeklagten ferner nicht mit existenziellen beruflichen Konsequenzen verbunden, da er seit 2005 arbeitslos war. Schließlich war auf Seiten des Interesses der Allgemeinheit zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Angeklagten um einen aufgrund seiner Alkoholproblematik unzuverlässigen und ungeeigneten Fahrzeugführer handelt, wobei zur Beurteilung dieser Frage auch die zur Tatzeit gleichzeitig begangene Ordnungswidrigkeit berücksichtigt werden kann. Es wäre dem Angeklagten daher insgesamt zuzumuten gewesen, Fahrten mit dem PKW zu unterlassen.

Auch im Übrigen, also insbesondere zur Strafzumessung, deckt die Revision keine Rechtsfehler im angefochtenen Urteil auf.

III.

Die Voraussetzungen einer Vorlage der hier streitentscheidenden Rechtsfrage zum "Führerscheintourismus" an den Europäischen Gerichtshof zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV sind nicht gegeben. Eine Vorlagepflicht besteht dann nicht, wenn die Auslegungsfrage bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist und das nationale Gericht von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht abweichen will (BGHSt 33, 76). So liegt es hier. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008 in einem gleichgelagerten Fall die hier auch zugrunde gelegte Rechtsansicht vertreten.

Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG ist ebenfalls nicht angezeigt. Zum einen konnten die hier zitierten, abweichenden Entscheidungen des OLG Nürnberg, OLG München, OLG Jena und OLG Bamberg die aktuelle EuGH-Entscheidung nicht berücksichtigen. Zum anderen könnte der Senat durch die eine Bindung bezweckende Befassung des Bundesgerichtshofs gerade nicht daran gehindert werden, die Rechtsprechung des EuGH zu übernehmen (BGHSt 33, 76).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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